Meinungen und weiterer Faktencheck zur Debatte um den Imam auf der Berliner Gedenkfeier zu dem Amri-Attentat
In „NBS: Zurück in die Zukunft II“ war bereits darauf eingegangen worden, welche Bezüge Mohamed Matar selber zu sich angibt und welche Ausbildung er aufführt. Das wäre an sich ohne Belang, würden derzeit nicht vielfach Testimonial-Einstufungen, die auf persönlichen Kennverhältnissen beruhen, einer fachlichen Einschätzung, wie sie z.B. der Verfassungsschutz liefert, entgegengestellt. Insofern sind auch weitere Eigenbehauptungen, die von Testimonials nicht geprüft werden, aber als Fakten hingenommen und kolportiert werden, zu prüfen. Das ist auch deshalb notwendig, weil sich rund um das Thema eine Debatte zwischen Medien bzw. ihren Vertretern abspielt, die weniger mit den Belegen, denn dem allgemeinen Ruf dieser Medien zu tun hat.
Matar, der bei der Gedenkfeier für die Opfer des Terroranschlags am Breitscheidplatz gesprochen hatte, war in den letzten Tagen Gegenstand der Berichterstattung gewesen:
https://www.bz-berlin.de/berlin/neukoelln/so-islamistisch-ist-der-radikal-imam-mohamed-matar
Auch zwischen berichtenden Medien wie BILD und Spiegel bzw. befassten Journalisten entspann sich eine lebhafte Debatte auf Twitter, die nicht ganz frei von spitzen Anmerkungen auf der einen und Vertrauensbekundungen auf der anderen Seite war. In einem dieser threads fand sich die Aussage des Spiegel-Redakteurs Christoph Sydow, der einen kurzen Artikel über Matar beigesteuert hatte:
Sydow erklärte hier seine Sicht auf die like-Liste Matars:
Sydow hat Islamwissenschaften studiert. Seine like-Liste sieht gänzlich anders aus. Er sollte auch eigentlich wissen, dass das keine normale Liste ist. Sein Kollege Gathmann wiederum verteidigt ihn gegen eine spitze Anmerkung Julian Reichelts von der BILD:
Das ist nachvollziehbar, Gathmann hatte nämlich am 23.12. Sydows Artikel als ein besonders feines Stück Journalismus gepriesen:
Dann ergriffen einige Nutzer Partei vor allem auf der Spiegel-Seite. Keiner von ihnen hatte wohl die Belege, die bei der BILD vorlagen, auch nur angesehen oder sich weitergehend informiert. An den zum Teil recht derben Tweets war erkennbar: Sie gingen einfach von ihrer bestehenden Meinung über die BILD bzw. den Spiegel aus und meinten, damit auf der sicheren Seite zu sein. Ebenso hatte der Journalist Gathmann wohl nicht einmal die Struktur des Sydow-Artikels mitbekommen: Es sind nur Meinungen in dem Artikel, den Sydow erstellte: Meinungen über Matar und den Dialog als solchen. Meinungen von Matar selber, der Kirche, der AfD. Alles, was Fakten beinhaltete, also vielleicht der Hinweis auf den RBB oder diesen Blog, wo ja Fakten zu finden gewesen wären, unterblieb. Es blieb – extrahiert sozusagen – die Meinung der BILD gegen den Herrn Matar und den Kirchenmann (garniert mit etwas anonymem Senats-Gemunkel), die sich in dem Spiegel-Artikel äußerten. Das gefiel dem Kollegen Gathmann so gut, dass er es seinen Followern unbedingt empfehlen musste.
Bei dieser Glaubenskette war es also ein wenig wie beim Märchen von der Goldenen Gans: einer blieb am anderen hängen und musste nun mit.
Das Problem ist, dass Meinungen zwar schön sein können und gefällig, dass sie aber trotzdem nicht zutreffen müssen. Da mag man den Vorgänger in seiner Meinung noch so hoch schätzen, irrt täuscht sich (oder wird getäuscht) der erste, läuft alles in eine falsche Richtung.
Herr Sydow führte als Gegenargument gegen die Linklsite Matars, die von der BILD eingebracht wurde, aus, Matar studiere schließlich Islamwissenschaften. Das erkläre eine solche Zusammenballung an problematischen Personen. Den genannten Qaradawi nennt er einen einflussreichen sunnitschen Theologen. Das stimmt einerseits, ist aber im genannzen Kontext eher zweitrangig, wenn man die Gesellschaft sieht, in der er sich in der Likeliste befindet. Zum einen lesen ernsthafte Studenten eher über solche Personen, d.h. sie beziehen ihr Wissen zu ihnen aus Lehrbüchern. Die eigenen aktuellen Einlassungen der Herrschaften, die sich über soziale Medien an ein allgemeines Publikum richten, also eher Botschaften dort vermitteln als wissenschaftlich zu bearbeitende Lehrmeinungen, sind da zweitrangig. Zum anderen derart viele verschiedene allgemeine Einlassungen von verschiedenen Personen? Zakir Naik als Studienobjekt? Das erscheint eher abwegig und eigentlich müsste das auch der Herr Sydow wissen. Aber zurück zu dem erklärenden Argument, Matar studiere Islamwissenschaften. Wie verhält sich das nun? Sydow vermutete wohl ein seinem vergleichbares Studium, zumindest nehmen das aber die Leser seines Tweets an. Das allerdings ist ganz fraglich, ob ein Studium an der FU so etwas beinhaltet. Die Realität mag anders sein als Sydows Projektion.
Was gibt Matar selber an?
Die FU Berlin wird angeführt – stimmt das, wurde das geprüft? Es wirkt auf der Facebook-Seite so, als handele es sich um einen abgeschlossenen Vorgang. In einem solchen Studium an der FU geht es eher seltener um solche Herrschaften, wie sie in der linkliste auftauchen. Es werden derart viele verschiedene Dinge aufgeführt, dass eine Ansicht der einzelnen Angaben sinnvoll erscheint.
An weiteren Angaben war zunächst das bereits in „NBS: Zurück in die Zukunft II“ beschriebene „Europäische Institut für Islamwissenschaften“ (EIHW) in Frankfurt. Das ist eine vom hessischen Verfassungsschutz beobachtete und auch so schon bezeichnete Kadereinrichtung, die von der Behörde der Muslimbruderschaft zugeordnet wird. Studien der Islamwissenschaften im suggerierten Sinne, also im Sinne dessen, was Leser vermuten, sind das eher nicht.
Dann wird die „Universite Hassan II Casablanca“ angeführt. Nach der zugehörenden Wikipedia-Seite bieten die aber gar keine Islamwissenschaften an, das ist eher eine technische Universität:
https://en.wikipedia.org/wiki/University_of_Hassan_II_Casablanca
In aller Vorsicht: Was studiert Matar da?
Bislang übersehen worden war jedoch auch, dass Matar angibt, eine Ausbildung am Bayyinah gemacht zu haben:
„Tafsir“ bezeichnet grob die auslegenden Koranwissenschaften, also Textstudium und Interpretation:
https://de.wikipedia.org/wiki/Koranexegese
Wie sieht es mit der Einrichtung aus, die angegeben wird, das Bayyinah?
Das ist das durchaus fragwürdige „Institut“ von Nouman Ali Khan:
Auch das ist keine Universität, sondern eine seit 2005 bestehende Eigengründung Khans. Geht man auf die Seite dieses Instituts, so findet man ein überaus sparsames Menü:
In der Übersicht ist ersichtlich, dass es sich im Wesentlichen um Fernkurse bzw. Newsletter handelt, die als „Access program“ beschrieben werden. Bei den eingehenderen Studien (mal so genannt), findet sich dies hier:
Wegen schlechter Lesbarkeit des Screenshots hier noch einmal der Text, Hervorhebungen SHM:
„Offered each summer in Dallas, Texas, Bayyinah’s Quran Intensive is a popular 30-day Arabic and Quran studies program for the whole family. It combines an intensive Quranic Arabic curriculum during the day with inspiring Quranic appreciation at night and is a great way to spend the summer vacation! If you would like to be notified when registration opens, please subscribe to the newsletter.“
Also eher eine Predigerschule, die keinerlei wissenschaftlichen Anspruch in einem ernsthaften Sinne hat. Eine Ausbildung aus diesem Haus anzuführen spekuliert ein weiteres Mal mit der Annahme, dass derlei Eigenangaben niemand einzuordnen weiß oder nicht nachprüft.
Matar hatte sich auf seinem Facebook-Account als expliziter Fan des US-Predigers bezeichnet:
Dass Matar das angibt, ist eine Sache. Eine Schulung am EIHW und ein IS-Prediger-Kursus sind jetzt in der Gegenrealtät Matars vielleicht eine Zusatz-Ausbildung, die seiner zukünftigen Tätigkeit angemessen ist. Das steht ihm frei. Etwas anderes ist die Wertung Dritter, die nicht in der Filterblase Matars sind. Die werden sich das i.d.R. kaum anschauen. Schlimmer ist somit, dass Sydow, der selber Islamwissenschaft an der FU Berlin studierte:
http://www.spiegel.de/impressum/autor-14840.html
dieses Konglomerat auf Twitter gegenüber Dritten für ein normales, d.h. seinem entsprechendes islamwissenschaftliches Studium ausgibt (zumindest wird dieser Eindruck erweckt), da dort der Zusatz „nach eigenen Angaben“ fehlt. Gerade er als Person vom Fach müsste das zunächst selber eingehend betrachten, bevor er einen solchen Eindruck bei Dritten erweckt, müsste also prüfen, ob seine Annahme stimmt. Die Aussage „…studiert Islamwissenschaften…“ hat von einem, der selber Islamwissenschaften studierte, gegenüber Personen, die nicht vom Fach sind, ein anderes Gewicht. In der Eigenangabe steht zwar ganz oben auch noch die FU Berlin – aber wurde das einmal nachgeprüft?
Der Spiegel-Journalist Gathmann bezeichnet Sydow als „hochqualifiziert und über jeden Zweifel erhaben“ (wobei es nicht um Sydows allgemeinen Leumund geht, sondern die Aussagen in dem Artikel, die spitze Zuschreibung Reichelts jetzt einmal ausgenommen; sogar Personen, die „über jeden Zweifel erhaben“ sind, können sich irren oder getäuscht werden; der Zweifel gilt hier nicht ihrer Person primär, sondern ihren Aussagen). Gathmann, der selber Politikwissenschaften studierte, wird also im Bereich einer Einschätzung einer Person, die behauptet, Islamwissenschaften zu studieren, eher der Zuschreibung seines Spiegel-Kollegen Sydow vertrauen denn anderen. Er wird selber keine Belege anschauen. Für ihn gilt das Autoritätsargument, da Gathmann in diesem Bereich Sydow als Autorität anerkennt.
Und so nimmt die Kette der guten Meinungen ihren Anfang.
Meinungen ersetzen jedoch keine Fakten. Meinungen, insbesondere Fachmeinungen, die als solche geäußert werden oder von Dritten dafür gehalten werden können, müssen sich an fachüblichen Standards orientieren. Man kann zwar nicht jede Fehleinschätzung, die man durch ein eigenes Statement bei Dritten erzeugen mag, vorhersehen. Unter einem „islamwissenschaftlichen Studium“ versteht allerdings der Laie nur etwas, wie es der Herr Sydow durchlaufen hat und nicht derartige Schulungen an einer Kadereinrichtung* oder einen Prediger-Sommerkurs für die gante Familie. Die Eigenangabe zur FU Berlin – das wäre etwas, was man nachprüfen könnte. Ist das erfolgt?
Gute Meinungen sind zwar nett und im Grunde ehrenwert – aber sie sind dann ohne Nachhaltigkeit, wenn sie der Realität zuwiderstehen. Denn am Ende des Tages zählt die Realität und nicht eine gute Meinung von der Realität.
* Das hessische Wissenschaftsministerium hatte im Jahr 2014 explizit dazu Stellung genommen, weil das EIHW angab, einen Bachelor anbieten zu können, was nicht stimmt. Erster Beitrag in der Hessenschau vom 24.02.2014, der HR-Kollege Volker Siefert war vor Ort und berichtet
http://www.hr-online.de/website/archiv/hessenschau/hessenschau.jsp?t=20140224&type=v