Verbandsmarketing I

Lobbyismus, Vertretungsanspruch und Vertretungsmacht muslimischer Verbände

Erklärungsversuche

Nicht nur muslimische Verbände wie der Zentralrat der Muslime werden von der Gesellschaft häufig primär über ihre Öffentlichkeitsarbeit wahrgenommen – oder auch nicht. Es gibt große Verbände und Personenvereinigungen, die selten oder allenfalls anlassbezogen öffentliche Aufmerksamkeit erhalten; manchmal sind sie Fachkreisen nur bekannt. Manche NGO sind denen nur geläufig, die sich für die vertretenen Inhalte interessieren. Bei den muslimischen Verbänden wäre das an sich kaum anders, denn diese sind in der muslimischen Community selber wesentlich weniger bekannt, als so manchem politisch Aktiven vermittelt wird (ZMD z.B. ~ 25%).* Anlassbezogen äußern sich Verbandsvertreter, wenn es z.B. um Schulunterricht oder auch das Tragen des Kopftuchs in verschiedenen Zusammenhängen geht. Da es jedoch auch Anlässe gibt, die sehr erheblich aus der Normalität gesellschaftlichen Diskurses herausfallen und in diesen Zusammenhängen „muslimische Stimmen“ eingeholt werden, sind manche Verbandsvertreter auch dort Ansprechpartner der Medien, z.B. bei wichtigen Urteilen oder nach Attentaten (was dem einen oder anderen Funktionär auch missfällt, glaubt man den Einträgen in den sozialen Netzwerken). Es mag sicher anstrengend sein, sich da in eine oftmals noch vage Lage hinein zu äußern – an diesem Punkt kann man das sogar nachvollziehen, ist mancher doch schon länger aktiv und glaubt, schon alles zum Thema gesagt zu haben. Trotzdem ist natürlich ein Bedürfnis nach Erläuterung der Bevölkerung da – da muss man Profi sein. Insbesondere der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime (ZMD) scheint häufig nachgefragt zu werden. Vertreter anderer Verbände sind wesentlich weniger präsent.

Das liegt u.a. daran, dass er und der ZMD ganz selbstverständlich den Anspruch zu erheben scheinen, für einen sehr großen Anteil der Muslime in Deutschland sprechen zu können. Das suggerieren der Name und das zugehörende Auftreten. Dieser Anspruch ist jedoch nicht zwangsläufig zutreffend, wird aber kaum hinterfragt. Das erhebliche Interesse, die eigene Vertretungsmacht größer erscheinen zu lassen, als sie ist, wird dort häufig nicht reflektiert. Während bei einem Lobbyisten aus einem anderen Bereich der Vertretungsanspruch einem raschen Faktencheck zugänglich ist, ist das bei Funktionären im Bereich der muslimischen Verbände schwieriger. Dort ist man im Wesentlichen auf die Eigenangaben angewiesen (oder teilweise auf die des Verfassungsschutzes). Bei christlichen Funktionären kann man beispielsweise mit der Zahl der Kirchensteuerzahler abgleichen, bei Fußballfunktionären mit der Größe des Clubs und der Liga-Zugehörigkeit. Auf Bundesebene käme von der Politik z.B. kaum jemand auf die Idee, allgemeinen Forderungen eines Vertreters der Freikirchen** dasselbe Gewicht zu verleihen wie einem Vertreter der katholischen Kirche***. Oder im Sinne eines politischen Interessenabgleiches die Stimme des Deutschen Fechterbundes mit etwa 25.000 Mitgliedern gleich zu gewichten wie die Anliegen des Deutschen Fußballbundes mit knapp 7 Mio. vertretenen Mitgliedern (Zahlen Wikipedia). Vertretungsmacht wird so in die Währung politischen Einflusses umgemünzt, dass mehr Mitglieder im Rücken den jeweiligen Vertretern auch mehr Gehör verschaffen. So weit das übliche Denken.

Bei den muslimischen Verbänden ist dies nun aber etwas anders. Beim größten Verband, der DITIB, kann man über die Zahl der Moscheen nur grob einen Rückschluß auf die Zahl der tatsächlich vertretenen Mitglieder ziehen, weil die DITIB-Gemeinden zwar lokal sozusagen selbst organisiert sind, aber über die Finanzierung mindestens der Imame mehr ein Angebot einer Art Staatskirche darstellen (deren Gewicht ist aber auch durch die deutsch-türkischen Beziehungen beeinflusst). Niemand weiß, wie viele tatsächlich übrig blieben von den 900 DITIB-Gemeinden (Eigenangabe), müssten die Gemeindemitglieder ähnlich wie bei Freikirchen die Kosten tatsächlich vollumfänglich selber tragen. Ähnliches gilt für die ATIB, bei der auch die Imame von der Diyanet, der türkischen Religionsbehörde finanziert werden (Eigenangabe M. Celebi). Das sind also erhebliche Subventionen, die von einem Eigeninteresse der Organisation bzw. hier dahinter des türkischen Staates zeugen. Auch bei der katholischen Kirche ringt man ja um die Zuzahlungen der öffentlichen Hand (also ALLER Steuerzahler) neben dem Umstand, dass die Mitgliedsbeiträge vom Staat eingezogen werden (Kirchensteuer). Die katholische Kirche scheint den Verdacht zu haben, dass bei Wegfall dieses privilegierten Beitragseinzugs die Einnahmen wegbrechen könnten. Deswegen wird darum so vehement gestritten.

Auf politischer Ebene wird der Eigenanspruch der Vertreter muslimischer Organisationen meist nicht ausreichend hinterfragt. Trotz Islamkonferenz etc., wo man solche Fragen ja auch klären könnte, wird z.B. dem ZMD-Vorsitzenden umgangssprachlich politisch eine Vorfahrtsspur eingeräumt. Da steht keine öffentlich wahrnehmbare staatliche Präsenz dahinter wie bei den türkischen Verbänden. Das muss also andere Gründe haben. Man kann vermuten, dass das der Fall ist, weil der Herr Mazyek einfach immer da zu sein scheint, wo Politprominenz zugegen ist und dort Kommunikation in Seilschaften umstrickt. Oder dass er an Bildern, Statements, Behörden- und Medien-Aktionen mitnimmt, was nur irgendwie geht und den Kernanliegen nicht direkt widerspricht. Da gibt es vieles. Und natürlich die Presse. Dieser Kommunikationsfeldzug in eigener Sache lässt übersehen, dass z.B. der Koordinationsrat der Muslime eigentlich und prinzipiell viel größer ist (da ist der ZMD als Verband mit drinnen, aber auch noch die DITIB und andere). Omnipräsenz, persönliches Auftreten und mediale Übung lassen so manchen Vertreter der Politik und der Medien auch darüber hinweggehen, dass Mazyek als ZMD-Vorsitzender Vereine und Verbände im ZMD hat, die unter Verfassungsschutzbeobachtung stehen, und dass in seinem Vorstand die von diesen Strukturen entsandten Personen wichtige Funktionen einnehmen. Die eigene organisatorische bzw. institutionelle Zuordnung lässt Mazyek dabei dem Anschein nach bewußt offen: Er soll nur für den ZMD stehen und dieser eigentlich nur in seiner Person beachtet werden. Diese aufscheinende Strategie geht (noch) auf. Sie geht so weit auf, dass man einen Interessenvertreter von vielleicht 20.000 Personen und somit Minderheitenvertreter unter den Muslimen die gesellschaftliche Minderheit Muslime so vertreten lässt, als seien seine persönlichen und institutionellen Interessen für Muslime, Migranten oder die Migrationsgesellschaft gar insgesamt ganz zentral. Man räumt ihm einen durchaus prägenden Einfluß ein. Das Selbstbild bzw. der vehement erscheinende Machtanspruch wird durch breite politische Protektion (ob der Vorsitzende des Deutschen Fechterverbandes schon mal oder gar häufiger bei Kanzlerin und Bundespräsident war?) und den Umstand, dass die Medien das weniger thematisieren, teilweise sogar flankieren, erst Realität. Eine self fulfilling prophecy.

Ein Beispiel von vielen: Anders lässt sich beispielsweise die Berufung von Aiman Mazyek (und Dr. Bekir Alboga, dem DITIB-Generalsekretär) in ein Expertengremium der SPD-nahen Friedrich Ebert Stiftung (!) für die Erstellung eines Papiers für die SPD bzw. das Integrationsressort kaum erklären.

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Unterstützt wird das dem Anschein nach relevant von der Integrationsbeauftragten Aydan Özoguz (SPD)****, die schon mehrfach im Themenfeld Islamismus irritierende Positionen einnahm. So hatte sie Anfang 2011 wohl zu einem Boykott der Deutschen Islamkonferenz aufgerufen, weil über eine „Sicherheitspartner-schaft“ gegen Islamismus geredet werden sollte:

http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/islamkonferenz-boykott-aufruf-der-spd-sorgt-fuer-eklat/4003714.html

Das kann man machen, muss aber mit Kritik rechnen; es befremdete aber vor allem in der Art, wie das geschah und von welcher Funktion aus..

In der Nachbetrachtung des Verbots der Gruppierung „LIES!“ sprach sie sinngemäß von erforderlichem Augenmaß, damit nicht der Verdacht der Willkür aufkomme. Diese Aussage sorgte für breite Entrüstung. Özoguz relativierte ihre Aussage zeitnah nach breiter Kritik:

http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/aydan-oezoguz-stellt-aussage-zu-islamisten-richtig-14529991.html

Auch wenn es sicherlich die Aufgabe als Integrationsbeauftragte erfordert, nicht nur mit vielen zu sprechen, sondern auch allen Seiten etwas abzuverlangen, irritieren diese Töne doch. Die Vermittlung in die muslimische Community, dass man als Muslim in den allermeisten Bereichen völlig gleiche Bürgerrechte genießt (und wo das noch nicht der Fall ist, Handlungsoptionen im Rechtsstaat vorliegen), scheint so manches Mal zurückzutreten gegenüber der Vermittlung von Interessenlagen eben dieser Community. So irritieren auch solche Gespräche und der Rahmen: Özoguz hatte nach Angabe auf der Seite des ZMD in 2011 wohl ein bislang wenig beachtetes Treffen mit hochrangigen Muslimbruder-Funktionären unter IGD-Ägide im etwas abgelegenen Bad Orb:

igd-oezoguz-bad-orb-2011-161212

Man beachte das Thema des Treffens. Zu den Teilnehmern wird es demnächst einen Betrag geben. So etwas ist recht seltsam, wenn man die Akteure und ihre Einbindungen kennt.

Quelle: http://zentralrat.de/18782_print.php

Zurück zur FES.
Warum die FES das macht, nämlich Personen von Strukturen beizuziehen, bei denen mindestens mittelbar ein nachzufragendes Verhältnis zur FDGO besteht, siehe Unter- (ZMD) oder Überstruktur (Diyanet), ohne Not sie in ein Expertengremium berufen, in das man auch liberale Muslime hätte beiladen können, erscheint kaum nachvollziehbar. Warum Aydan Özoguz das als SPD-Mitglied dem Anschein nach befördert, ist ebenfalls nicht verständlich, wenn auch andere Mitglieder des SPD-Parteivorstands nahe Beziehungen zum ZMD zu pflegen scheinen. Jedes Selfie erscheint da auch als eine Instrumentalisierung, denn jedes Selfie zeigt anderen politischen Aktiven, wen der ZMD-Vorsitzende schon als persönlichen Testimonial gewinnen konnte. Hochpokern mit dem Handy. Wer stellt sich als SPD-Mitglied, vor allem aber als abhängiger Partei-Funktionär schon gegen Gabriel, Steinmeier & Co, selbst wenn sie in einer Sache und Einschätzung völlig irrten (das gilt genau so für die anderen Parteien oder Organisationen, weil diese Strukturen ähnlich funktionieren). In einem solchen Fall genügte einfache Meinung ja nicht, man muss Kritik oder Vorbehalt immer besser begründen als Zustimmung oder Vertrauen. An offener Wahrnemung der Probleme aber mangelt es, weil die Presse die Einbindungen eben nicht oder zu selten thematisiert. Wer sucht sich das schon aus Materialien des Verfassungsschutzes etc. heraus oder bemüht Internetquellen.

Dazu bedürfte es erst einmal der Neugierde, des Zuhörens, des Interesses am Gegenüber und – dem Wunsch nach Realität. Dabei wäre genau das Zeichen einer Normalisierung. Mazyek ist – lässt man die Sache mit der Verfassungsschutzbeobachtung der Vereine im ZMD erst einmal weg – nicht anders zu betrachten und behandeln wie ein Kirchenmann der mittleren Funktionärsebene oder der Vorsitzende des ADFC (der etwa 8 mal so viele Mitglieder vertritt wie der ZMD wohl hat; trotzdem lädt man den ADFC-Vorstand nicht alleine ein, wenn es um Verkehrskonzepte geht, sondern holt z.B. den ADAC hinzu, die Umweltschützer und die Stadtplanung z.B.). Er wird aber ganz anders behandelt als solche normalen Funktionäre, n.m.M. durch das erfolgreiche Hochpokern. Das braucht also immer erst eine kritische Masse oder ein Ereignis, das solche gruppendynamischen Prozesse durchbricht. Das weiß der Herr Mazyek als Profi natürlich und da kann man nur sagen: Gute Analyse. Etliche Untervereine des ZMD stehen unter Beobachtung, stehen also nach Sicht des Verfassungsschutzes eben nicht für die Werte, für die die SPD steht oder auch jede andere demokratische Partei. Die Selfies stehen nur für den schönen Schein. Diese schlichte Wahrheit wird sich aber durchsetzen. So viele Selfies kann man gar nicht machen, um das dauerhaft zu überdecken. Ein ähnlicher Lobbyismus würde z.B. im Pharmabereich auf erheblichen Widerstand stoßen, vor allem, träte der CEO einer kleinen Firma auf wie der Bayer AG Chef und hätte statt Aspirin nur Absinth im Gepäck.

Politische Nachfrage/Bedürfnis (das auch zu hinterfragen wäre jenseits von Sicherheitsaspekten) und eine gewisse mediale Abhängigkeit, die ebenfalls selbstverantwortet ist, schaffen also das Phänomen, dass die Lobby-Tätigkeit nicht als solche benannt wird. Dass vor allem ständig die tatsächliche Vertretungsmacht dem Eigenanspruch entsprechend, aber unreflektiert gewährt wird. Postfaktische Zeiten, die öffentliche Meinung über einen Sachverhalt ist wichtiger als die Realität.

Weiter mit ein paar Vergleichszahlen der Verbände und Betrachtungen in Teil 2.

 

 

 

* Den ZMD kannten laut BMI-Studie nur etwa ein Viertel der befragten Muslime, S. 174

https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/Themen/Gesellschaft-Verfassung/DIK/MLD.pdf?__blob=publicationFile

Wenn man sich zusätzlich die Wahlergebnisse bei Kommunalwahlen in mehrheitlich von Personen mit Migrationshintergrund bewohnten Wahlbezirken anschaut z.B. in Offenbach und auch die Wahlbeteiligung bei den Ausländerbeiratswahlen gegenrechnet, kommt man zu dem Eindruck, dass von den Parteien die Zahl der auf diese Weise zu gewinnenden Wähler grandios überschätzt wird, selbst wenn man einmal die inakzeptablen inhaltlichen Differenzen beiseite lässt. Die allermeisten Migranten wählen – glücklicherweise! – nach anderen Kriterien denn denen des ZMD. Darüber Wähler gewinnen zu wollen, ist kein Nullsummenspiel, sondern ein Verlustgeschäft. Die wesentlich aktiveren anders aufgestellten Migrantengruppen nehmen diese Art des Lobbyismus wesentlich feiner wahr und kritisieren das sogar. Anhänger der Muslimbrüder & Co hingegen lehnen oftmals demokratische Wahlen per se ab, selbst wenn sie den deutschen Paß haben. Die Funktionäre versuchen über eine Vorspiegelung Einfluß zu nehmen; sie locken mit einer Fata Morgana. Dazu sollte es weitere gute Forschung geben. Eine Neuauflage der BMI Studie wäre gut.

** z.B. dieser hier mit etwa 82.000 vertretenen Gemeindemitgliedern:

https://de.wikipedia.org/wiki/Bund_Evangelisch-Freikirchlicher_Gemeinden

*** vertretene Katholiken in Deutschland nach eigenen Angaben 24,6 Mio. Katholiken:

http://www.katholisch.de/kirche/deutschland

**** Bevor jetzt die CDU strukturell frohlockt: Nein, wirklich besser sieht es da auch nicht aus, siehe Debatte um die Einbindungen z.B. von Cemile Giousouf.

Wer jetzt fragt, was die SPD so im allgemeinen zur Muslimbruderschaft meint, der muss an dieser Stelle enttäuscht werden. Eine Anfrage vom 31.10.2016, einige recht einfache Fragen, wurde trotz 5 facher telefonischer Nachfrage nie beantwortet. Weder schriftlich noch telefonisch. Bei der Pressestelle wurde immer nur in großem Ernst von verschiedenen Personen – das nehme ich ab – verkündet, man habe es weitergeleitet. Und nochmal und nochmal. Als Parteimitglied finde ich das ungenügend und kann es mir auch kaum erklären. Als Person jedoch, die öffentlich zu Islamismus aufklärt, muss man irgendwann festhalten, dass das dann auch ein Statement ist. Offenkundig will sich die SPD nicht in öffentlicher Weise zur Muslimbruderschaft positionieren.

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