„Sabri Opfer des Staates“

Großes Kino beim OLG Düsseldorf: In einem 25-minütigen letzten Wort präsentiert sich Sabri Ben A. als Opfer und beklagt sein schlechtes Image. Sein Anwalt Martin Yahya Heising fordert Freispruch. Der deutsche Staat habe Sabri „provoziert“, rechtswidrig „schikaniert“ und damit „radikalisiert“, lautet seine Begründung. Mit Vergleichen zu RAF-Prozessen und dem Vorwurf politisch beeinflusster Urteile gerät Heisings Plädoyer zum Frontalangriff auf die Justiz als solche. Das Urteil wird am Freitag verkündet.

Sabri Ben A. spricht mit seinem Anwalt Martin Heising (Bild: Sigrid Herrmann-Marschall)

Wer einmal das fragwürdige Vergnügen hatte, live zu erleben, wie Sabri Ben A. Journalisten und andere kritische Zeitgenossen auf der Straße in bedrohlicher Manier eingeschüchtert hat, der glaubte am Montag vor dem 5. Strafsenat des Düsseldorfer Oberlandesgerichts (OLG) zuerst, einen völlig neuen Sabri zu erleben: In seinem rund 25-minütigen „letzten Wort“ flehte der 39-jährige Kölner um eine milde Strafe, präsentierte sich dabei als unschuldiges Opfer, treusorgender Familienvater, weinte gar zwischendurch und gab sich geläutert. „Ich werde nichts mehr posten“, versprach der Deutsch-Tunesier. „Ich will nur noch für meine Familie und meine Kinder da sein.“

Für mögliche Opfer der von ihm im Internet veröffentlichten IS-Videos bot Sabri Ben A. Wiedergutmachung an. Dem Staatsanwalt versprach er: „Sie werden nie wieder etwas von mir hören.“ Und für sein schlechtes Image hatte er keine Erklärung: „Bei mir deutet man alles negativ um“, klagte er. „Dieses Dämonisieren, dieses schlechte Bild von mir, finde ich schade.“ Seine wirklich letzten Worte lauteten nach fast einer halben Stunde: „Ich hoffe auf ein mildes Urteil. Insch’allah wird alles gut.“

Bei genauer Betrachtung seiner bühnenreifen Show fiel jedoch auf, dass es zu seinen früheren Auftritten auf der Straße nur einen einzigen Unterschied gab: Dieses Mal konnte er sein Gegenüber weder bedrohen noch einschüchtern. Denn dieses Mal war sein Gegenüber die Vorsitzende Richterin eines Staatsschutz-Senats – die nunmehr die Höhe seiner Haftstrafe festlegen muss. Erst am Freitag hatte der Staatsanwalt wegen Unterstützung der in Syrien aktiven Terror-Organisation „Ahrar ash-Sham“ sowie Internet-Propaganda für die Terror-Organisation Islamischer Staat (IS) fünf Jahre und sechs Monate Haft für Sabri Ben A. gefordert. Und nach der rund viermonatigen Beweisaufnahme sieht es nicht gut für ihn aus.

Damit war der selbst in Salafisten-Kreisen als militanter IS-Anhänger bekannte 39-Jährige im Gegensatz zu seinen früheren, nicht minder bühnenreifen Auftritten, in der unterlegenen Position. Einen Auftritt wie 2013 vor dem Amtsgericht Offenbach, wo er wegen Randale zuerst des Saales verwiesen und dann zu einer Geldstrafe verurteilt wurde, konnte er sich hier und heute nicht mehr leisten.

Alle schuld, außer Sabri?

Ansonsten aber blieb Sabri Ben A. seinen traditionellen Stilelementen treu, insbesondere dem, sich als Opfer zu gerieren: „Ich fühlte mich in meiner Religionsfreiheit bedrängt“, klagte er. „Ich habe für die Wahrheit gekämpft. Leider hat mir die Polizei Nackenschläge verpasst.“ Auch in der Salafisten-Szene sei er ein Opfer gewesen: „Ich wurde von Pierre Vogel auf offener Straße angegriffen.“ Andere hätten ihn ebenfalls schlecht behandelt und dargestellt, so etwa Bernhard Falk, jammerte Sabri – aber erst, nachdem er sich umgedreht und vergewissert hatte, dass Falk nicht zufällig im Zuschauerraum sitzt.

Die Maske fiel spätestens, als Sabri Ben A. beklagte, er sei verurteilt worden, nur weil er einen Politiker als „Tipi-Pipi“ veralbert hatte. Dass er den hessischen Landtagsabgeordneten Ismail Tipi immer wieder im Netz unflätig beleidigt, dabei behauptet hatte, der Politiker würde die Dienste von Prostituierten in Anspruch nehmen und zuletzt sogar dessen Wohnadresse veröffentlicht hatte, verschwieg er. Und en passant gelang es ihm an dieser Stelle seines Monologs, den CDU-Politiker durch die Wiederholung von „Tipi-Pipi“ erneut zu verhöhnen. Spätestens in diesem Moment zeigte sich deutlich, dass Sabri am Montag zwar aus der Position des Unterlegenen heraus agierte – sich aber ansonsten kein bisschen geändert hatte.

Die Vorarbeit zu diesem theatralischen letzten Wort hatten seine Verteidiger geleistet: Zuerst war es Martin Yahya Heising, der das Wort ergriff. Dabei verzichtete er zur Überraschung der Prozessbeobachter auf persönliche Angriffe. Auch hatte er sich bei diesem Plädoyer emotional und stimmlich in der Gewalt. Anfänglich lobte er sogar die „familiäre Atmosphäre“ bei diesen Verfahren. Seine Selbstdarstellung, er und sein Kollege hätten „die meiste Erfahrung“ in solchen Prozessen, aber auf ihre Sachkunde würde zu wenig zurückgegriffen, ließ tief blicken. Ebenso seine Anmerkung, man sehe sich als „Organe der Rechtspflege“, solange „Beschlüsse Wahrheit atmen“.

Heising greift Polizei und Justiz frontal an

Dass er an das Gericht appellierte, es wisse nicht, „wie sich Diskriminierung anfühlt“, wies dann den Weg für sein weiteres Plädoyer. Das geriet trotz freundlichem Vokabular schnell zum Frontalangriff auf die deutsche Strafjustiz als solche. So werden Islamisten-Prozesse in Deutschland derzeit „unter der Prämisse der Schuldvermutung geführt“, behauptete Heising. Ähnlich wie die RAF-Prozesse seien sie „Ausdruck politischer Justiz“, bei der „politischen Erwägungen“ Vorrang vor juristischen Beurteilungen hätten.

„Der Staat ist maßgeblich dafür verantwortlich, dass unser Mandant immer radikalere Wege beschritt“, behauptete Martin Heising. Er warf der Polizei und dem Staat vor, Sabri Ben A. „rechtswidrig schikaniert“ zu haben. „Es war doch klar, dass Sabri am Rad dreht, wenn er nur genug provoziert wird.“ Und: „Der IS war für ihn nur ein Instrument, dem deutschen Staat, der ihn jahrelang schikaniert hat, zwischen die Beine zu treten.“ Kurz darauf behauptete der Strafverteidiger gar: „Als Opfer des deutschen Staates konnte er sich mit den Opfern in Krisengebieten identifizieren.“

Die stets wiederkehrende Sichtweise von Martin Yahya Heising, sich selbst allen Ernstes zu den „Guten“ zu zählen, seine Mandanten als Opfer, aber Polizei und Justiz als eigentliches Problem zu sehen, zeigte sich erneut, als er dem Strafsenat vorwarf, im Gerichtssaal grausame IS-Videos gezeigt zu haben. Die Videos, die unter anderem Anleitungen zum Bombenbau enthielten und in denen zu sehen war, wie Menschen vor laufender Kamera grausam getötet wurden, hatten Ermittler auf Computern von Sabri Ben A. gefunden. Das hielt Martin Heising aber nicht von der Chuzpe ab, dem Gericht vorzuwerfen, es habe „damit zur Verbreitung der Videos beigetragen. Jetzt wissen alle Zuschauer, wie man mit einfachen Mitteln eine Bombe herstellen kann.“

Anwälte fordern Freispruch

Zur unfreiwilligen Komik geriet Heisings Plädoyer jedoch, als er davon sprach, das „rechtskonforme“ Agieren seines Mandanten hätte sich ja auch damit gezeigt, dass der dem ehemaligen nordrhein-westfälischen Innenminister Ralf Jäger (SPD) angeboten habe, gegen Zahlung von 250.000 Euro Deutschland zu verlassen. Kurz darauf verstieg er sich gar zu der Aussage, dass Sabri „hier stets ordentlich und im Anzug erschien“, sei ein Beleg für dessen Respekt vor dem Gericht. Im Ergebnis forderte er einen Freispruch für seinen Mandanten, im Falle einer Verurteilung hilfsweise zwei Jahre und sechs Monate Haft. Die Forderung der Düsseldorfer Generalstaatsanwaltschaft bezeichnete er als „maßlos“.

Eine ähnlich offensive Gangart schlug Serkan Alkan, der andere Verteidiger von Sabri Ben A., an. „Weniger geht einfach nicht“, sagte er zu den Ergebnissen der Beweisaufnahme. „Da sind Lücken und die werden ganz einfach zu Lasten unseres Mandanten gewertet.“ Den mutmaßlichen Mittäter und Hauptbelastungszeugen, den bereits verurteilten Mirza Tamoor B., beleidigte er massiv: „Tamoor B. ist durch und durch ein opportunistisches Schwein und ein notorischer Lügner“, sagte er. „Es ist derart offensichtlich, dass B. hier Schwachsinn erzählt.“ Im Ergebnis forderte Serkan Alkan ebenfalls Freispruch, im Falle einer Verurteilung hilfsweise ein Strafmaß, mit dem Sabri Ben A. „unverzüglich aus der Haft zu entlassen wäre“. Im Zuschauerraum verfolgten Sabris Frau und dessen Schwester das Geschehen.

Ob die Strategie der beiden Strafverteidiger, einen wegen seiner Militanz selbst in der Salafisten-Szene umstrittenen sowie bereits wegen Hetze vorbestraften Angeklagten als unschuldiges, von der Polizei drangsaliertes und in die Radikalität getriebenes Opfer darzustellen, aber gleichzeitig der Justiz vorzuwerfen, sie urteile politisch, wird sich am Freitag um 10 Uhr 30 zeigen. Dann nämlich wird die Vorsitzende Richterin Dr. Karina Puderbach-Dehne das Urteil gegen Sabri Ben A. verkünden. Man darf gespannt sein.

 

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